Persönliches Wachstum

Persönliches Wachstum

*Erfahrungsbericht*

Und plötzlich realisierst du: Nichts ist selbstverständlich und doch ist alles irgendwie normal.

Wer schon einmal einen Schüleraustausch gemacht hat oder einige Zeit in einer Gastfamilie leben durfte, der kann sich dieses Gefühl wohl vorstellen. Eintauchen in eine andere Lebenswelt in der vieles nach bekannten Mustern abläuft, aber dennoch alles anders ist. Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet nicht nur, dass die Wohnung an eigene Bedürfnisse angepasst ist, sondern auch Abläufe im Alltag auf die Lebenssituation abgestimmt sind.  

Als Persönliche Assistenz taucht man bis zu 24 Stunden in ein anderes Leben ein. Sich selbst zurücknehmen und offen sein für die Eigenheiten eines anderen Alltags. Es ist der schmale Grad zwischen eigene Routinen hinter sich lassen und die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten passend einzusetzen. Ein Beispiel: In der eigenen Küche stehen die Tassen neben der Kaffeemaschine, aber bei den Assistenznehmer:in Stehen die Tassen neben dem Kühlschrank. Der Vorgang des Kaffee Kochens bleibt an sich aber der gleiche. Beim Waschen, Kochen oder Putzen sind Grundkenntnisse definitiv notwendig und doch wird auf Anweisung der/ des Assistenznehmers:in gehandelt. Bei der Wahl oder Menge von Waschmittel weichen Gewohnheiten und Vorlieben oftmals voneinander ab.

Wie fühlt sich das an? 

Die ersten Dienste als Persönliche Assistenz gibt es viel Neues zu lernen, eine intensive Einarbeitung und dieses besondere Gefühl Teil eines Lebens zu sein. Voneinander lernen und Verantwortung übernehmen und Neue Erfahrungen machen, gehören somit zum Arbeitsalltag. Zum ersten Mal im Leben habe ich bewusst wahrgenommen in welchen alltäglichen Situationen eine körperliche Behinderung einschränken kann und welche teil kreativen Lösungen den Alltag erleichtern können. Es sind gerade die vielen kleinen Hindernisse, die Abläufe verhindern oder deutlich erschweren. Dabei sind es zum Beispiel die Arbeitsplatten, die Höhe von Tischen oder die Bedienung von Küchengeräten, welche Barrieren verursachen können. Es sind Herausforderungen, über die ich sonst im Alltag nicht nachdenke, da es so selbstverständlich ist sich frei zu bewegen. Kommen weitere Gesundheitliche Einschränkungen hinzu, zeigen sich evtl. auch bei Knöpfen drücken, Büchern oder PC Nutzung Schwierigkeiten. Schnell habe ich realisiert, dass Assistenz viel Einfühlungsvermögen, Unterstützung, aber ebenso Zurückhaltung bedeutet. Ein besonderes Verhältnis von Nähe und Distanz entsteht.  

Nach 24 Stunden geht es dann zurück in die eigene, vorher vertraute und als selbstverständlich empfundene Welt. Alles ist gleich und doch ganz anders.  

Plötzlich schleichen sich Gedanken ein wir: dieser Ladeneingang ist aber sehr schmal. Dort würde kein Rollstuhl durchfahren können. Welche Lebensmittel sind im Supermarkt gut zu erreichen und für was sind Möbel konzipiert. Ich wurde offener für neue Denkansätze und flexiblere Abläufe. Lese ich Zeitungsartikel über Barrierefreiheit hinterfrage ich mittlerweile wie umfassend diese wohl sein mag. Ist es für alle Menschen barrierefrei oder sind womöglich nur keine Stufen vor dem Eingang vorhanden? Sollte es an öffentlichen Orten nicht sogar Hilfsmittel geben, um den Aufenthalt in jeder Lebenslage zu ermöglichen? 

Ich bin dankbar für jede Erfahrung, für die Teilhabe, die Einweisung in Hilfsmittel und freue mich, dass ich während der Zeit als Persönliche Assistenz so viele wundervolle Menschen kennenlernen durfte.  

Nichts ist selbstverständlich und doch ist alles irgendwie normal.  

R.K.